Tierversuche – ein Problem aus Tierschutzsicht

Tierversuche – ein Problem aus Tierschutzsicht

Tierversuch
Tierversuche sind weiterhin in Politik und Wissenschaft akzeptiert. Foto: Pixabay.com

Obwohl sich immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft gegen Tierversuche aussprechen, sind Tierversuche in Politik und Wissenschaft leider noch weitgehend akzeptiert. Die allgemeine Begründung dafür ist meist, dass sie angeblich für die Gesundheit und die Sicherheit des Menschen oder für den wissenschaftlichen Fortschritt notwendig sind.

Laut Tierschutzgesetz sind Tierversuche Eingriffe und Behandlungen an Tieren, die zu Schmerzen, Leiden oder Schäden führen können. Dass Tiere in fast allen Versuchen leiden – oft stellvertretend für den Menschen – ist aus Tierschutzsicht unstrittig. Dabei beginnt die Tortur der Tiere sogar schon vor dem eigentlichen Versuch. Der Transport in die Forschungseinrichtung, die weitere Zucht, die Haltungsbedingungen und das alltägliche Handling durch Pfleger und Forscher bedeuten für Versuchstiere konstanten Stress.

Ethisch ist es nicht zu rechtfertigen, einem Lebewesen, das in vergleichbarer Weise wie der Mensch schmerzempfindlich und leidensfähig ist, so etwas anzutun. Aus Tierschutzsicht ist deshalb die Abschaffung von Tierversuchen das langfristige Ziel. Doch auch aus wissenschaftlichen Gründen ist es geboten, auf Tierversuche zu verzichten und stattdessen bessere, tierversuchsfreie Verfahren zu verwenden.

Vom Tier zum Menschen

Tierversuche liefern in der Regel Ergebnisse, die nur schwer auf den Menschen übertragbar oder von vorneherein medizinisch irrelevant sind. Generell ist es nie unproblematisch, von den Reaktionen einer Spezies auf die einer anderen zu schließen, da meist fundamentale Unterschiede bestehen, die eine Übertragbarkeit anzweifeln lassen.

Solche Unterschiede zwischen Spezies sind unter anderem die Lebensdauer, die Ernährungs- und allgemeine Lebensweise, der Stoffwechsel, das Nervensystem und damit auch das Gehirn und die Sinnesorgane. Auch Aspekte der Fortpflanzung, wie die Trächtigkeitszeit und die Anzahl der Nachkommen sind bei verschiedenen Tierarten unterschiedlich.

Dazu kommt noch, dass eine oftmals nicht tiergerechte Haltung und die meisten Versuchsbedingungen die Relevanz von Forschung an Tieren stark anzweifeln lassen. Es herrscht häufig Inzucht innerhalb der Tierlinien, die Tiere werden steril gehalten und haben dadurch ein verarmtes Immunsystem, oder es ist zu kalt in den Räumen, was an sich schon körperlicher Stress für die Tiere ist und Ergebnisse verfälschen kann.

Für manche Versuche werden sogar nur männliche oder nur weibliche Tiere verwendet. Andere Umwelteinflüsse, wie Lärm oder Umweltverschmutzung, denen der Mensch tagtäglich ausgesetzt ist, werden in solchen Versuchen auch nicht berücksichtigt. Im Bestreben, Tierversuche immer stärker zu standardisieren, entfernen sich Forscher so mehr und mehr vom individuellen Menschen, dem die Forschung ja eigentlich zu Gute kommen soll.

Tierversuche – trotzdem noch Goldstandard

Ein Großteil der Versuchstiere wird in der Grundlagenforschung eingesetzt, um alle nur erdenklichen Fragestellungen zu beantworten, ohne dass ein erkennbarer Zusammenhang mit dem Wohl des Menschen, der Tiere oder der Umwelt besteht.

In der angewandten Forschung werden Tiere sogar künstlich krank gemacht, um an ihnen als Modell Krankheiten des Menschen zu untersuchen. Gerade die neuen, für die Forscher bequemen, Möglichkeiten im Methodenspektrum der Gentechnik haben dazu geführt, dass immer mehr solcher Krankheitsmodelle entwickelt und auch kommerziell vermarktet werden.

Das führt automatisch auch zu mehr Tierversuchsprojekten und Jahr für Jahr mehr verwendeten Tieren in der Forschung. Dabei bringen die Ergebnisse bisher nicht den erhofften Durchbruch hinsichtlich dringend benötigter Therapien für Krankheiten wie Krebs, Alzheimer oder Parkinson.

In Deutschland und in anderen Ländern existieren trotz aller Bedenken von Tierschützern und einiger Wissenschaftler auch zahlreiche gesetzliche Vorschriften, in denen Tierversuche für die Risikobewertung unter anderem von Arzneimitteln, Chemikalien, Schädlingsbekämpfungsmitteln (Biozide) oder gentechnisch veränderten Pflanzen verbindlich festgeschrieben sind.

Dabei werden laufend  zahlreiche moderne und aussagekräftigere tierversuchsfreie Methoden entwickelt, mit denen sich Verbraucher- und Umweltschutz sicherstellen lässt. Solche neuen Verfahren müssen allerdings langwierige und teure Überprüfungen bis zu ihrer Zulassung durchlaufen. Hier handelt es sich um Zeitspannen von über zehn Jahren, von der Entwicklung einer Testmethode bis zur Anerkennung durch internationale Behörden.

Die meisten etablierten Tierversuche haben übrigens kein Zulassungsverfahren durchlaufen, sondern wurden irgendwann eingeführt und einfach immer weiter beibehalten. Allein schon deshalb sind sie methodisch den neuen tierversuchsfreien Verfahren oft weit unterlegen. Trotzdem wird die Aussagekraft eines neuen Tests gerne an der Vergleichbarkeit mit dem zu ersetzenden Tierversuch gemessen.

So kann es passieren, dass eine Ersatzmethode zwar ohne Tiere auskommt, die Hürden der Anerkennung aber nicht überwinden kann. Auch in der Lehre, besonders der medizinischen und tiermedizinischen Ausbildung kommen immer noch lebende Tiere zum Einsatz. Sie werden hier meist als Übungsobjekt benutzt, zum Beispiel in der chirurgischen Ausbildung. Dabei gibt es heutzutage schon hochmoderne plastische Modelle, an denen Übungen wie Blutentnahme, Injektionen oder chirurgische Eingriffe ausgiebig geübt werden können.

Besonders die Möglichkeit, bei Fehlern immer wieder neu starten zu können, führt zu sehr guten praktischen Ergebnissen. Aber auch das Töten von Tieren speziell für Übungen von Studenten, beispielsweise Sezierkurse zum Erlernen der Anatomie, ist aus Tierschutzsicht abzulehnen. Denn auch hier lässt sich anhand von Modellen, Filmen oder Abbildungen der gleiche Lernerfolg erzielen.

Alternativmethoden

Tierversuchsfreie Test- und Forschungsmethoden, oft als “Alternativmethoden” bezeichnet, werden dafür entwickelt, spezifische Fragestellungen ohne oder mit weniger Tierleid präzise beantworten zu können. Neue Methoden, die lediglich eine Reduktion der Tierzahl oder eine Verringerung des Leidens der Versuchstiere ermöglichen, fallen dabei auch unter den Begriff Alternativmethoden.

Allerdings sollte eine Forschung, die ganz ohne Tiere auskommt, der Weg in die Zukunft sein. Der „Umweg“ über eine andere Spezies wird so ausgelassen, stattdessen wird mittels hochmoderner Verfahren unmittelbar mit Blick auf den menschlichen oder tierischen Patienten geforscht. Auch mögliche Risiken für Verbraucher und Umwelt lassen sich ohne Tierleid bewerten.

Die Bandbreite verfügbarer Alternativmethoden zu Tierversuchen ist mittlerweile riesig. Tierversuchsfreie Verfahren sind in der direkten Anwendung meist kostengünstiger, sodass sich auf lange Sicht auch die zunächst eventuell höheren Anschaffungskosten für benötigte Geräte rechnen. Sie liefern zudem in kurzer Zeit Ergebnisse und in sogenannten Hochdurchsatz-Verfahren lassen sich viele Chemikalien oder Wirkstoffe gleichzeitig testen.

Zellkulturen

Mittels Zellkulturen lässt sich heute beinahe jede Art von Zellen züchten. Biologische Abläufe können so im Reagenzglas untersucht werden. Auch Gewebe und sogar manche Organe können Wissenschaftler bereits im Labor wachsen lassen, sodass sich beispielsweise die Giftigkeit von Testchemikalien an künstlichen menschlichen Hautschichten in vitro ermitteln lässt.

Auf diese Weise kommen einerseits für den Menschen relevante Ergebnisse zustande, andererseits sind besonders qualvolle Versuche an Kaninchen oder Meerschweinchen überflüssig.

Klinische Studien an Freiwilligen

Klinische und epidemiologische Forschung, also die Beobachtung von Patienten bzw. Patientengruppen sowie von gesunden freiwilligen Testpersonen, nimmt in der heutigen Medizin einen immer höheren Stellenwert ein. Sie liefert naturgemäß besonders wertvolle Ergebnisse über tatsächliche Krankheitsverläufe und Therapieansätze.

Die gewonnenen Erkenntnisse sind sehr viel aufschlussreicher als solche aus veralteten experimentellen Methoden, bei denen Tiere künstlich krank gemacht werden. Selbstverständlich müssen für alle Untersuchungen das Einverständnis der Patienten bzw. Testpersonen eingeholt und die Daten anonymisiert werden.

Beispiel: Bildgebende Verfahren

Ein Bereich, der in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung durchgemacht hat, sind die bildgebenden Verfahren wie die Magnet-Resonanz-Tomografie (MRT) oder die Computertomografie (CT). Krankheiten und ihre Auswirkungen im Körper lassen sich bei diesen Untersuchungen quasi in Echtzeit beobachten und analysieren.

Computergestützte Verfahren

Über Datenbankrecherchen, Molekül- und Strukturvergleiche am Computer oder anhand von vorhandenen Studiendaten ist es möglich, innerhalb kurzer Zeit Informationen über die vermutliche Giftigkeit und Wirksamkeit von Testsubstanzen zu erhalten.

In sogenannten in silico-Verfahren lassen sich durch computergestützte Simulation von biochemischen Prozessen ganze Experimente am Computer durchführen, wobei die errechneten Resultate wie andere experimentelle Beobachtungen gehandhabt werden. Solche Datenvergleiche und Simulationen sind deutlich effizienter als Tierversuche.

Animierte Simulatoren ermöglichen auch eine realitätsnahe und moderne Ausbildung von Studierenden, Sanitätern oder militärischem Personal und ersetzen zunehmend Sektionen oder Operationsübungen an (teils lebenden) Tieren.

Warum gibt es trotzdem noch Tierversuche?

Trotz all dieser und unzähliger weiterer Ansätze hat der Sektor der tierversuchsfreien Test- und Forschungsverfahren nach wie vor mit massiven Schwierigkeiten zu kämpfen. Diese beginnen bei der finanziellen Förderung durch Staat, Forschungsgesellschaften und Industrie, die nur einen Bruchteil dessen beträgt, was jährlich in Tierversuche investiert wird.

Des Weiteren müssen neu entwickelte Ersatzmethoden für gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche langwierige und teure Überprüfungen bis zu ihrer Zulassung durchlaufen. Eine weitere Hürde nach der Zulassung und auch für tierversuchsfreie Methoden in der Grundlagen- und angewandten Forschung besteht darin, die neuen Verfahren bekannt zu machen, sodass sie auch tatsächlich zum Einsatz kommen. Hier besteht derzeit ein Mangel an Informationen und Vernetzung und so kann es vorkommen, dass trotz existierender und zugelassener Alternativmethoden ein eigentlich ersetzbarer Tierversuch durchgeführt wird.

Institutionen und Wissenschaftler oder Behördenvertreter, die bereits seit langer Zeit auf Tierversuche setzen, stehen überdies den Neuerungen oftmals sehr skeptisch gegenüber. So führt häufig nur ein Verbot bestimmter Tierversuche dazu, dass die neuen Verfahren tatsächlich standardmäßig zum Einsatz kommen.

Umdenken der nächsten Generationen essentiell

Darum ist es wichtig, die zukünftigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der medizinischen, tiermedizinischen und biowissenschaftlichen Disziplinen schon im Studium für die ethische Problematik von Tierversuchen zu sensibilisieren, sie in der Anwendung und Vielfalt der tierversuchsfreien Methoden auszubilden und ihr Interesse an der Forschung mit und der Entwicklung von Alternativmethoden zu wecken.

Wenn wir also in eine Tierversuchsfreie Zukunft mit qualitativ hochwertiger Forschung blicken wollen, ist es unabdingbar, dass Politik, Industrie und Wissenschaft gemeinsam an einem Strang ziehen und die nötigen Änderungen im System voran bringen.

Weiterführende Informationen

Autorin: Carolin Spicher, Fachreferentin für Alternativmethoden zu Tierversuchen, Deutscher Tierschutzbund e.V.
Datum der letzten Aktualisierung: November 2021
Quellen: 
Deutscher Tierschutzbund: https://www.tierschutzbund.de/ (Abruf: November 2021)